Reminiszenzen
Des Öfteren stosse ich an vage, ungenaue, schwer lokalisierbare Fetzen von Erinnerungen: Visionen aus dem grossen Repertoire an Bildern, die ich im Laufe meines Lebens in mir angesammelt habe, Geister der Vergangenheit. Im hohen Alter, sage ich mir, werde ich keine Erinnerungen mehr haben, sondern nur noch Reminiszenzen …
Tatsächlich glaube ich wie Marcel Proust gerne, dass diese Reminiszenzen wiederauftauchende Erinnerungen aus meinem Gedächtnis sind, das allmählich nachlässt. In Le Temps retrouvé, dem siebten und letzten Band von À la recherche du temps perdu (Auf der Suche nach der verlorenen Zeit), beschäftigt sich Proust ausführlich mit diesem Phänomen: «Verlorene» Zeit ist die des Vergessens, «wiedergefundene» Zeit ist im Gegenteil die Wiederkehr der Erinnerung, die er Reminiszenz nennt.
Bei Platon, und das gefällt mir ebenso gut, ist Reminiszenz die Erinnerung an das in einem früheren Leben erworbene Wissen. Wir würden so alle in unserem gegenwärtigen Leben die Spuren unseres vergangenen Lebens in uns tragen. In Wahrheit tauchen in meiner Arbeit oft Persönlichkeiten oder Situationen auf, die mir nicht aus dem wirklichen Leben, sondern aus den Tiefen der Zeit zu kommen scheinen … Oder sind das nur Fantasien, die aus meiner Vorstellung geboren werden?